Anders als England oder Frankreich ist Deutschland nicht durch die
Expansion eines erobernden Zentrums, sondern durch den freiwilligen
Zusammenschluß mehrerer germanischer Stämme entstanden. Das waren die
(Nieder-)Sachsen, Franken, Schwaben und Baiern. In den ersten
Jahrhunderten der deutschen Geschichte waren die Stämme als
Stammesherzogtümer auch die wichtigsten politischen Einheiten innerhalb
Deutschlands. Nach der Auflösung der Stammesherzogtümer in zahlreiche
kleinere Fürstentümer im 13. Jahrhundert blieben die Stämme als
kulturelle und sprachliche Einheiten bestehen, wie sie in ihrer Mundart
und ihrer Volkskultur zum Ausdruck kommen. Selbst heute noch gibt es ein
regional unterschiedlich starkes Bewußtsein der Stammeszugehörigkeit.
Am stärksten ist das wohl bei den Baiern ausgeprägt. Im Osten
Deutschlands kam es mit der Bildung der neuen Bundesländer zu einer
Wiederbelebung des Stammesbewußtseins.
Die ältesten der deutschen Stämme gehen bis in die Völkerwanderungszeit
zurück. Andere entstanden als „Neustämme“ aus der Vermischung
verschiedener Stämme in der deutschen Ostsiedlung im Mittelalter. Es
gibt aber auch jüngere städtische Neubildungen wie die Berliner oder die
Ruhrgebietsbevölkerung.
Der Historiker Andreas Vonderach geht in diesem Buch der Herkunft und Geschichte der deutschen Stämme nach, ihrem Schicksal im Mittelalter und ihrem Fortbestehen auch nach der Zeit der Stammesherzogtümer. Außerdem befaßt er sich mit der Forschungs- und Geistesgeschichte der deutschen Stämme, den verschiedenen Ansätzen, die es in der Volkskunde und Sprachwissenschaft gab, und der Rolle, die sie zum Beispiel in der Romantik und in der Zeit der Weimarer Republik spielten. Dabei stellt er nicht nur die verschiedenen Forschungsansätze vor, sondern zeigt auch, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse davon noch heute Bestand haben. Die zentrale Frage ist, ob die Stämme so etwas wie ein Wesen haben, also ob es anthropologische und psychologische Unterschiede zwischen ihnen gibt, die die Zeitläufte überdauert haben.
208 Seiten, gebunden
Format: 210 x 148 mm