In Deutschland ist es seit einiger Zeit Mode, herausragende
historische Persönlichkeiten ›vom Sockel zu holen‹, sie zu ›entzaubern‹.
Dieses Buch will Otto von Bismarck weder als einen großen Mann, der
Geschichte machte, demontieren, noch will es ihn glorifizieren. Indem es
ihn in den Vordergrund stellt, trägt es der überragenden Rolle
Rechnung, die Bismarck bei der Bildung eines ›kleindeutschen‹
Nationalstaates gespielt hat: Ohne Zweifel einer der ganz großen
›Beweger‹ des 19. Jahrhunderts, das mit ihm zu einem tatsächlichen
Abschluß gelangt ist, prägte er auf dem Gipfel seiner Laufahn als ein
um- und weitsichtiger Staatsmann nicht bloß die deutsche, sondern auch
die europäische Geschichte in ganz entscheidendem Maße. Er drückte ihr
im wahrsten Sinne des Wortes seinen Stempel auf.
Am Ende dieses Buches soll der Leser nicht nur eine plastische
Vorstellung von Bismarck als Person, sondern ebenso von seiner Politik
gewonnen haben. Beides ist unauflösbar miteinander verwoben, denn das
Leben dieses bedeutenden Mannes war Politik – obwohl er sich oft bitter
darüber beklagte, daß er als Mensch von den Zwängen seiner politischen
Ämter fast völlig absorbiert werde. Politik war nun einmal sein Beruf im
Sinne von Berufung, und auf diesem Betätigungsfeld hat er sich einen
bleibenden Namen erworben.
Sicherlich war Bismarck zunächst ausschließlich ein Preuße und als
solcher ein entschiedener Gegner Österreichs, des alten deutschen
Rivalen Preußens. Im Gegensatz zu Österreich blieb er auch dann, als er
den verengten Blick eines preußischen Junkers erweitert und die deutsche
›Berufung‹ Preußens erkannt hatte. Aus dieser neuen politischen
Perspektive heraus mußte ihm die Habsburger Monarchie erst recht als
Kontrahent der preußischen Monarchie erscheinen: Denn wenn deren
Vormachtstellung für einen – erst noch zu schaffenden – deutschen
Nationalstaat Geltung haben sollte, mußte Österreich draußen bleiben.
Mit dem Sieg von Königgrätz am 3. Juli 1866 war diese Grundbedingung für
einen geeinten deutschen Nationalstaat, wie ihn Bismarck sich
vorstellte, geschaffen worden.
Jetzt zeigte sich Otto von Bismarck, der Realpolitiker: Da er das
soeben besiegte und aus Deutschland verdrängte Österreich für die
Zukunft als einen Bündnispartner gewinnen wollte, setzte er gegenüber
Preußenkönig Wilhelm I. und seinen Militärs eine alles in allem doch
recht schonende Behandlung des geschlagenen Gegners durch. Auch damit
schuf Bismarck grundlegende Voraussetzungen dafür, daß der unter
preußischer Führung stehende Nationalstaat ›kleindeutscher‹ Prägung –
also ohne Österreich – im Krieg von 1870/71 Wirklichkeit werden konnte.
Auf längere Sicht war der Ertrag dieser Schonung Österreichs das Bündnis
zwischen dem Deutschen Reich und der Donaumonarchie, das dann bis zum
Ende des Ersten Weltkrieges Bestand haben sollte. Auch in dieser
Beziehung ist das Bild Bismarcks weit differenzierter, als es bei
oberflächlicher Betrachtung den Anschein hat.
256 Seiten
Leinen mit Schutzumschlag
zahlreiche z.T. farbige Abbildungen